Mareike Fallwickl, Die Wut, die bleibt

Mareike Fallwickl, Die Wut, die bleibt

Der „Coming of Frausein“-Roman schlechthin. (Mindestens) drei Protagonistinnen, die sich auf die eine oder andere Art den Bürden des Frauseins entziehen.

Ein Must-Read für alle Feministinnen sowieso, aber ich würde mir so sehr wünschen, Männer läsen dieses Buch und erführen, wie es ist, Frau, Mutter, Partnerin, weiblicher Teenager in unserer Gesellschaft zu sein und wie privilegiert Männer per Default sind.

Er gehört zu den Männern, die mit ärgerlicher Selbstverständlichkeit attraktiv sind. Garantiert muss er sich kein Gedankn machen, on ein Shirt gut sitzt, ob die Haare ok sind, ob sein Lächeln zu viel Zahn zeigt oder zu wenig. All diesen Raum, den die Fragen über ihr eigens Aussehen in Sarahs Gehirn einnehmen, hat er zur Verfügung.

Mareike Fallwickl entwickelt die Geschichte rund um Helene, Mutter von zwei kleinen Buben, Ehefrau von Johannes, Lola ihrer Teenager-Tochter und ihrer besten Freundin Sarah. Helene steht eines Abends vom Tisch auf, geht zum Balkon und springt. Klar, dass sich jetzt das Fragenkarussell zu drehen beginnt. Nun stellen sich alle jene Fragen, die sie Helene schon längst stellen hätte sollen – bis auf Johannes. Da Sarah aus schlechtem Gewissen ihrer Freundin gegenüber das Familienmanagement übernimmt, bleibt ihm das zunächst erspart. Der „besänftigenden“ Mutter und ihrer Glaubenssätze beraubt, emanzipiert sich Lola gemeinsam mit ihren Freundinnen von den – per default – misogynen Strukturen und schlägt ihren eigenen Weg ein. Johannes macht einfach so weiter wie vorher – äußerlich zumindest.

Die Wut, die bleibt ist zügig zu lesen. Manchmal wird es allerdings zu offensichtlich und lehrbuchhaft. Vor allem Lola sagt manchmal Sätze, die wie auswendig gelernt erscheinen. (Es handelt sich vielleicht wirklich um Zitate aus der Fachliteratur, wie zum Beispiel aus Riot, don´t diet von Elisabeth Lechner.) Andere haben wir Frauen milliardenfach gedacht, gesagt, gefordert, ohne gehört zu werden.

Bei mir bleibt nicht nur Wut, sondern zunehmend auch Ratlosigkeit darüber, wie ein erfolgreicher feministischer Wandel erreicht werden soll, wenn an den Schaltstellen der Macht immer nur Männer sitzen…

Übrigens: Ich schreibe diese Rezension am 23.9.; in 9 Tagen sind Nationalratswahlen…

Zitierfähig

Ich habe schon wieder so viele Stellen im Buch angestrichen…

…zum Beispiele diese:

Muttersein ist wie ein Schiff, sagt Helene. (…)
„Aber wer steuert das Schiff?“, fragt Sarah.
Das kapiert man erst nach einer Weile, erwidert Helene, es sind die Männer. Es sind Politiker und die Gesellschaft. Wir Mütter haben keine Macht. Wir tragen die gesamte Last, aber Macht haben wir keine.

Der Zorn ist eckig mit gezackten Rändern, er schmeckt wie ein Löwenzahnblatt. Sein Saft ist ähnlich braun und färbt alles ein, was er berührt.

Ihr Kinderlosen glaubt uns einfach nicht, sagt Helene, wir erzählen euch wie es ist, und ihr hört nicht zu. Ihr denkt: Liegt sicher nicht am Kind, meins wird anders.

Essen ist Freiheit. Zu kauen und zu schlucken, zu schmecken und sich zu füllen ohne Nachdenken und ohne Reue, aus purer Lust und für den Widerstand. Das gehört zum Wildesten, was eine Frau in dieser Gesellschaft tun kann.“

Cover Die Wut, die bleibt
Mareike Fallwickl
Die Wut, die bleibt
Hardcover, 384 Seiten
Rowohlt Verlag
ISBN 9783644013308

Erster Satz

Haben wir kein Salz, sagt Johannes beim Abendessen, sagt es genau so: Haben wir kein Salz, und nicht einmal in Helenes Richtung.

Addendum

An dieser Stelle möchte ich euch (wenige Männer, die diesen Blog lesen) auf einen aktuellen Text von Tanja Raich in der Zeit aufmerksam machen:
Dieses Mal habe ich ihn angeschrien
Die Blicke, die Hände, die Sprüche: Unsere Autorin würde sich wünschen, nicht davon erzählen zu müssen. Doch es ist wichtig, weil es mit keiner Frau allein zu tun hat.

Zum ganzen Text

Mieze Medusa, Du bist dran

Mieze Medusa, Du bist dran

Manchmal verschenke ich Bücher. Vor allem dann, wenn sie mir nicht sehr ans Herz gewachsen sind, bzw. wenn sie die neuen schon wieder stapeln. Die glücklichen neuen Besitzer:innen bitte ich um eine Rezension. Meistens machen diese das auch.

Du bist dran von Mieze Medusa hatte keine lange Anreise – es landete in Klosterneuburg. Der folgende Kommentar zum Buch stammt nun von der schnelllesenden Exil-Kärntnerin und Kaltwetter-Liebhaberin Bettina Wiedenhofer-Peternell.


Die Autorin war mir unbekannt.
Ich freue mich über diese Neuentdeckung.
Das Buch war mir eine helle Freude.
Darum wurde es in „null komma nix“ gelesen.

Die Beschreibung von mehreren Figuren auf eine derart intensive Weise in Sprache, Lebenshaltung, Erwartungen und Handlungen ist grandios.
Immer wieder von neuem bin ich fasziniert von der Fähigkeit von Autor:innen in so unterschiedliche Typen quasi hineinzuschlüpfen.

Danke für dieses Leseerlebnis.

Mieze Medusa
Du bist dran
Hardcover, 256 Seiten
Residenz Verlag
ISBN 9783701717293

Erster Satz

Das „Poseidon“ ist wie Kurzurlaub in der Vorstadt.

Gertraud Klemm, Einzeller

Gertraud Klemm, Einzeller

Der Feminismus ist wie eine alte, kinderlose Tante, die niemand besonders gernhat, weil sie immer dasselbe plappert. Von der man trotzdem gern Geld nimmt, zu Weihnachten und zum Geburtstag.

Ein Must-Read für alle (post-, ex-)Feminist:innen (to be) sowie alle politischen Menschen.

Der Inhalt – in einer Frauen-WG treffen unterschiedlich ausgeprägte feministisch-engagierte Charakter aufeinander – ist eigentlich nur ein Vorwand, um Feminismus zu deklinieren. Ich hab selten sowas Gescheites, Reflektiertes, Kritisches gelesen. Einzeller ist wahrscheinlich nur deshalb kein Sachbuch, weil sich ein Roman besser verkauft – der Barbie-Effekt auf hohem intellektuellen Niveau 😉

Ich frage mich ja immer wieder, warum nicht jede Frau (bei Männern kann ich es noch ein bisschen besser verstehen) Feministin ist und stolz darauf? Weil man(n) uns den Begriff gestohlen und was Schirches daraus gemacht gemacht hat? Dabei geht´s im Feminismus nur darum, die Welt für ALLE gerecht zu machen.

Man(n) hat uns geschickt auseinanderdividiert, sodass wir jetzt Partikularfeminismus betreiben und uns gegeneinander aufhetzen. Nutznießer sind die Konservativen und/oder Rechten. Denn wenn wir uns zerfleischen, haben wir keine Zeit, sie bzw. das System von dem sie profitieren zu bekämpfen.

(Erinnert mich an die Ökobewegung, an die SPÖ, teilweise an die Grünen – früher.)

Diese Situation schildert Klemm in allen ihren Facetten. Sie zögert nicht (extrem) unbeliebte Standpunkte einzunehmen. Diese können sehr überzeugend sein, vor allem, wenn frau bereit ist, ihre Werte der Pragmatik zu opfern.

Zitierfähig

Ich habe so viele Stellen im Buch angestrichen, dass es aussieht wie meine alten Uni-Skripten 🙂

Hier noch ein paar Auszüge…

Die Kinder sind die Weichstelle jeder Revolution, dort wächst ihr kein Knochen, nicht einmal Hornhaut. An der Liebe zu den Kindern ist noch jede weibliche Revolution zerbrochen. Ihre Kinder werden Frauen niemals opfern. Darauf ist Verlass. Darauf können alle Männer bauen, am allermeisten die Väter. 

Die Mütterlichkeit und die Religionen: Damit haben sie die Frauen von beiden Seiten im Griff; vom Himmel und von der Erde. Von unten zerren die Kinder an ihren Rockzipfeln, von oben stülpt die Männerkirche ihnen die Minderwertigkeit über. Religion und Patriarchat. Wenn die beiden nicht so fest aneinanderkleben würden!

Cover des Buches Einzeller
Gertraud Klemm
Einzeller
Hardcover, 308 Seiten
kremayr& scheriau
ISBN 978-3-218-01382-6

Erster Satz

Eleonora hält die Leiter, an der die Farbdose hängt.

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Ich sags gleich: Ich bin eine bekennende Falter Fanin und daher absolut nicht unvoreingenommen. Dennoch bzw. umso mehr möchte ich dieses Buch weit über den grünen Klee loben: Klenk dokumentiert auf nur 150 Seiten, was schief läuft in der (Land-)Wirtschaft, und was wir gewinnen können, wenn wir trotz – scheinbar unüberbrückbarer – Differenzen miteinander ins Gespräch kommen.

Es ist ein Dokument über ein völlig absurdes Fördersystem, die Machenschaften des Raiffeisen-Konzerns, der Bauern und Bäuerinnen in Abhängigkeit hält, die Perversion des „Lebensmittelmarktes“ und wie wir Verbraucher*innen willig mitspielen und über die Auswirkungen des Klimawandels. Und über das produktive Potenzial eines Dialogs mit Menschen, die anders denken. All das anhand einer einzigen, wahren Geschichte über einen steirischen Bergbauern.

Es ist zudem spannend, lustig, traurig, rührend und hat – achtung Spoiler – ein Happy End!

Ich habe es allen Verwandten zu Weihnachten geschenkt. Weil ich an das Veränderungspotenzial dieses Buches glaube. Es sollte an den Schulen zur Pflichtlektüre gehören. Auch an Pflichtschulen. (Nein, es ist kein intello-Bobo-Belehrungsbuch. Ganz im Gegenteil.)

Lest es, schenkt es weiter, macht Werbung dafür. Wenn wir und unsere (Kindes-)Kinder eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir miteinander reden, Zusammenhänge verstehen, Bereicherungsmechanismen aufdecken und neue Handlungsmuster entwickeln. Asap.

Cover von Bauer und Bobo
Florian Klenk
Bauer und Bobo
Zsolnay Verlag
160 Seiten
978-3-552-07259-6

Erster Satz

Als alles vorbei war, zückte Christian Bachler seine kleine Flasche angesetzten Lärchenschnaps.

Martina Parker, Zuagroast

Martina Parker, Zuagroast

Compliance-Hinweis: Ich habe noch nie ein Buch von jemandem rezensiert, den ich kenne, geschweige denn, von jemandem, die hier schon einen Blogbeitrag geschrieben hat! Ich bin sozusagen voreingenommen.

Bei Martina Parkers Zuagroast handelt es sich um einen „Gartenkrimi“. Mein Verhältnis zu Krimis ist ein zwiespältiges: Einerseits mag ich spannungsgeladene Geschichten, die mich in ihren Bann ziehen. Die mich der nächsten Lesegelegenheit entgegenfiebern lassen, die mir den Schlaf rauben. Andererseits kann ich mit den 1000 Varianten des Frauneentführensunddannimmernochbestialischerabschlachten nichts anfangen. Allerdings wird der 5. Provence- bzw. Normandie-Krimi auch irgendwann schal. Und mit bayrischen Brachialhumor à la Lederhosenkrimi hab ichs – ehrlich gesagt – auch nicht so. Insofern hat mich der Titel „Zuagroast“ eher abgeschreckt (Burgenländisch ist ja noch schlimmer als Bayrisch!). Aber dann habe ich Martina kennengelernt und war bei einer ihrer Lesungen. Zudem hat sie eine Rezension für diesen Blog geschrieben! Und außerdem ist das Buch auch noch wahnsinnig erfolgreich… Also her damit!

Ich werde die Geschichte hier nicht nacherzählen. Im allerweitesten Sinn geht es um weibliches Empowerment und (Selbst-)Wirksamkeit durch angewandte Pflanzenkunde. Das alles in einem (burgenländischen) Dorf, wo jedeR alles weiß bzw. zu wissen glaubt und damit ebenso häufig falsch wie richtig liegt. Politische Korruption spielt auch eine Rolle, aber das kennen wir aus dem realen Leben ja nur zu gut.

Was ich nicht so mag

Der Wikipedische Anteil ist mir zu ausgeprägt – das lasse ich für die Pflanzenkunde durchgehen, weil Gartenkrimi, aber wer der Hauptvertreter des Bauhaus-Stils war, weiß ich entweder oder es interessiert mich nicht. Auch Details zum Phänomen der Sarggeburt, die verschiedenen Fäulnisvorgänge inkl. platzender Hautblasen sind einfach too much information!

Und dann mag ich das Frauenbild nicht, das vermittelt wird. Die meisten Frauen werden entweder geschlagen, betrogen, verlassen, und/oder für komplett deppert gehalten. Ich glaub jetzt nicht, dass das am Land so viel ausgeprägter ist als in der Stadt, daher ist mir das Verhältnis zwischen Armutschkerln und coolen Frauen zu dürftig.

Was ich mag

Endlich mal ein Krimi aus der Perspektive einer Frau! D.h. Frauen werden „nur geschlagen, betrogen… s.o.“ aber nicht entführtundbestialischabgeschlachtet.

Ein spannender Plot, wunderbar flapsig geschrieben. Sehr viel Pflanzenwissen. Ein überraschendes Ende. Sehr viele lustige Einfälle – großartig die Szene am Ballonfest!

Fazit

Ich habs in Einem durchgelesen! Ich hab oft schmunzeln müssen und manchmal sogar laut gelacht! Und ja, ich hätte es gerne selbst geschrieben! Insofern: auf jeden Fall lesenswert. Und ein sehr schönes Cover hat es auch noch!

Martina Parker
Zuagroast
510 Seiten
Gmeiner Verlag
978-3-8392-0095-7

Erster Satz

Es war eine dieser pannonischen Sommernächte, in denen es einfach nicht abkühlte.

PS: Ich empfehle, zu einer von Martina Parkers Lesungen zu gehen. Die Geschichten, die sie rund um die Entstehung des Buches erzählt, sind mindestens so lustig wie das Buch selbst!

Must-Hear: Cornelius Obonya liest die Emmerich-Krimis von Alex Beer

Must-Hear: Cornelius Obonya liest die Emmerich-Krimis von Alex Beer

Ich bin ja ein großer Hörbuch-Fan. Mittelmäßige Geschichten können — vom richtigen Menschen gelesen — zu großem Hörgenuss werden. Umgekehrt kann einem eine furchtbare Stimme jedes noch so große Werk vergällen.

Bei der August-Emmerich-Krimiserie stimmt jedoch alles: Burg-Schauspieler Cornelius Obonya lässt ein Panakustikum entstehen, dass man glaubt mindestens 10 verschiedene Schauspieler*innen (sic!) hätten die Geschichte eingesprochen! Seine Bandbreite ist phänomenal, er hat die ganze Dialektvielfalt der untergegangenen Monarchie drauf! Sogar Frauenrollen wirken bei ihm nicht aufgesetzt. Er lässt glaubwürdige Charaktere entstehen und hält sie bis zu ihrem Lebensende kongruent durch — wenn es die Schöpferin zulässt, bis zum dritten Band!

A propos authentisch: Die Autorin Alex Beer erschafft eine ganz dichte, lebensechte Atmosphäre. Zusammen mit Obonyas „Übersetzung“ befindet man sich mittendrin im vom ersten Weltkrieg verheerten Wien. Man hungert mit den vielen Hoffnungslosen, leidet mit den Kranken, friert mit den Zerlumpten.

Wunderbar facettenreich sind die Protagonist*innen. Schwarz und weiß sind nie klar von einander zu unterscheiden. Und Gesetz bedeutet nicht nicht immer Gerechtigkeit, Emmerich allerdings weiß wofür er eintritt.

Der Kommissar mit dem Granatsplitter im Bein ist auch eine sehr ambivalente Person. Beinahe immer grantig aber herzensgut, mitfühlend, ist er doch selbst ein gepeinigter.

Ein toller Charakter ist auch sein Assistent Winter. Das enteignete, schmächtige Aristokratensöhnchen, das nur langsam mit seinen Aufgaben wächst und dennoch für seine Prinzipien einsteht (und einsteckt ;-).

Wenn dann der Pülcher bei der Endstation vom 49er am Gasthaus Prilisauer vorbei, durch den Ferdinand-Wolf-Park, über die Bräuhausbrücke den Wienfluss überquert, um anschließend im Lainzer Tiergarten zu verschwinden, bin ich als Penzingerin mittendrin in der Geschichte vom Zweiten Reiter! Grandios!

Bisher sind drei August-Emmerich-Krimis erschienen.

Bitte unbedingt noch mehr vom Duo Beer+Obonya!

Eva Schmid, Die untalentierte Lügnerin

Eva Schmid, Die untalentierte Lügnerin

Ich hab mich ja bemüht, heuer nur Autorinnen zu lesen. (Wobei mir Stephan Zweig mit seiner Magellan-Biografie untergejubelt wurde. Tauchte plötzlich auf meinem Nachtkästchen auf, genau zu dem Zeitpunkt als ich Buch- und somit Schutz-los war…)

Also Eva Schmid, weil, Österreicherin, Ö1-Buch des Monats und Longlist des Deutschen Buchpreieses und „So geht das Wunder von Literatur“ (Klappentext, Sabine Vogel, Berliner Zeitung). Mhm. Sicher gut geschrieben. Aber ich fange mit so ereignislosen, vor sich hinplätschernden Schilderungen banaler Leben einfach nichts an. Erinnerte mich sehr an Friederike Gösweiner Traurige Freiheit.

Es macht nichts in mir, es macht nichts mit mir.

Eine junge Frau, die keine einfache Kindheit hatte (kein Vater, desinteressierte Mutter, verstreute Brüder), weiß nicht, wie es in ihrem Leben weitergehen soll. Dank ihres reichen Stiefvaters – der einzige, dem scheinbar etwas an ihr liegt – hat sie keine materiellen Sorgen. Sie jobbt in einem Museum, geht oberflächliche Bindungen ein, löst sie wieder. Zum Schluss – naja, lest selbst.

Wie ein gut komponiertes, monotones Musikstück lullt einen der Text ein. Man merkt kaum, dass man ein paar Zeilen verpasst hat, weil einem die Augen zugefallen sind. Dann ist es aus und man denkt sich: „Und?“ oder auch „Jo, eh.“ Dabei mag ich durchaus leise Bücher, wie zum Beispiel von einem meiner Lieblingsautoren Peter Henisch. Auf 208 Seiten habe ich mir keinen einzigen be-merkenswerten Satz angestrichen…

buchdeckel eva schmidt
Eva Schmidt
Die untalentierte Lügnerin
Jung und Jung
208 Seiten
978 3 99027 230 5

Erster Satz:
Mit neunzehn war Maren zum ersten Mal von zuhause ausgezogen

Franzobel, Rechtswalzer – eine Gastrezension von Manuela Grabherr-Gappmayer

Franzobel, Rechtswalzer – eine Gastrezension von Manuela Grabherr-Gappmayer

Franzobel ist wieder einmal unter die Krimiautoren gegangen und hat sich einen politischen Phantasie-Reigen erdacht, der einige Monate nach Entstehung des Buches wohl gar nicht mehr so viel Phantasie benötigt.

Zwei Erzählsträngen folgt die Geschichte. Da ist einerseits Malte Dinger, Besitzer einer Bar, in der am liebsten Gin in verschiedensten Variationen verkauft, Vater eines Schulanfängers, Familienmensch und Ehemann – bis er eines morgens ein Handy findet und beim Schwarzfahren erwischt wird. Letzteres aus Versehen, da ihm seine Frau die Monatskarte aus der Geldtasche genommen und nicht wieder zurückgelegt hatte. Die Strafzahlung konnte er nicht leisten, da fehlten ihm einige Euros, so wurde er festgenommen und inhaftiert. Nicht ohne Pannen. In seiner Wut und Verzweiflung hat er dem Polizisten einen Zahn ausgeschlagen, was sich natürlich nicht mildernd ausgewirkt hatte.

Und andererseits gibt es Kommissar Groschen, der zu einem sensationell grausamen Mord in einem verlassenen Gebäude in der Strozzigasse gerufen wird. Schon bald führt ihn die Spur des Mörders aufs Land zu einer Adelsfamilie, bei der offensichtlich nicht mehr viel Adel übrig geblieben ist. Der Mord soll ad acta gelegt werden, der mögliche Täter  ist und bleibt flüchtig. Groschen glaubt nicht daran. Und wird recht behalten. Ein weiterer Mord, ähnlich grausam beschrieben, im selben Familienumfeld geschieht. Die Suche wird erneut aufgenommen.

Es kommt zum großen Showdown – naheliegend in Österreich, beim Opernball. Hier findet sich der beste Boden um Gesellschaftskritik gedeihen zu lassen. Die zwei Erzählstränge treffen sich und es kommt zu Aufklärungen und damit, nach mehr als 400 Seiten doch zu einem etwas abrupten Ende des Buches.

All das geschieht eingebettet in ein Österreich, das von der rechten Partei LIMES regiert wird, vom Meister und seinem Gehilfen. Die Welt hat sich damit geändert. Die Polizei wurde aufgestockt, Flüchtlinge und andere Nichtwillkommene außer Landes verwiesen, Theaterdirektoren wurden angewiesen bestimmte Autoren nicht mehr zu spielen, und, und, und. Speziell die Beschreibung der politischen Veränderung hinterlässt beim Lesen ein banges Gefühl. Man weiß, dass Franzobel beim Schreiben seines Kriminalromanes vieles, was das heutige Österreich ausmacht, noch nicht gewusst haben kann. Er hat phantasievoll Szenarien vorweggenommen, die für die meisten Österreicherinnen und Österreich zu dem Zeitpunkt nicht denkbar waren. Nun ist der Roman erschienen, lektoriert, gesetzt, gedruckt, und verkauft und Österreich ist der absurden Phantasiewelt Franzobels beängstigend nah gekommen.

So hat es Franzobel auch geschafft in meine Alltagswelt zu gelangen. Bei einer meiner letzten Fahrscheinkontrollen funktionierte die App nicht und ich spürte eine leicht Malte Dinger-Panik aufkommen. Für mich ist alles gut ausgegangen. Österreich ist zu wünschen, dass es allen anderen auch so ergeht.

Franzobel schafft ein Werk voll Sprachgewalt. Er bedient sich ganz unglaublichen Bildern, die ich persönlich nie verfilmt sehen möchte und die an die Grenze verkraftbarer Brutalität gehen. Aber er spielt auch mit den Wörtern, lässt literarische Kunstformen, etwa die der Alliteration einfließen – “Die Teller, Türen, Toiletten waren noch dieselben, auch die Betten, Bestecke, Besen wirkten gewöhnlich.”

“Rechtswalzer” ist ein verstörendes Buch, eines das niveauvoll unterhält. Geeignet nicht nur für Krimileser. Es ist ein Glanzstück österreichischer, sehr österreichischer Literatur.

Franzobel
Rechtswalzer
Verlag Zsolnay
416 Seiten
3552059229

Mag. Manuela Grabherr-Gappmayer MSc, Publizistin, Leserin, vereitelte Buchhändlerin und unermüdliche Projektentwicklerin

Daniel Wisser, Königin der Berge

Daniel Wisser, Königin der Berge

Wenn der Protagonist nach 390 Seiten stirbt, und ich muss nicht heulen wie ein Schlosshund, ist das das sicherste Zeichen für Pathoslosigkeit. (Ich! Wo ich doch schon bei der Ottakringer-Werbung ein Tränchen verdrücken muss…)

Daniel Wisser, hochgelobt und gehypt vom Feuilleton, ausgezeichnet mit dem Österreichische Buchpreis, wird nun auch von mir akklamiert. Erstens weil er mit viel Humor den vermeintlich humorlosesten Abschnitt des Lebens beschreibt: dessen Ende. Zweitens, weil er eine neue Form erfindet: Er streicht durch, was man nicht sagen/denken darf, schwärzt, was man nicht lesen darf, schreibt zwei Versionen: eine wahrhaftige und eine „veröffentlichte“.

Robert Turin (mit der Betonung auf der ersten Silbe) lebt freiwillig in einem Heim. Er ist an Multipler Sklerose erkrankt. Seine Krankheit nennt er Königin der Berge. Sie zwingt ihn in den Rollstuhl und raubt ihm Stück für Stück seine Autonomie. Herr Turin, wie er im Heim genannt wird, will sich den letzten Rest freien Willen bewahren und sich in der Schweiz das Leben nehmen, doch braucht er dafür jemanden, der ihn hinbringt.

Robert Turin ist kein ausschließlich sympathischer Mensch. Er ist ein notgeiler Alkoholiker, der mit seinem toten Kater spricht und seine Frau belügt. Er scheitert kläglich bei mehreren Selbstmordversuchen. Seine Empathie mit anderen HeimbewohnerInnen geht nur soweit, als er selbst keinesfalls so enden will.

„Herzzerreissend komisch“ wie es am Buckrücken steht würde ich Königin der Berge nicht nennen. Aber es ist wirklich erfrischend und überraschend, eine terminale Krankheit aus dieser Perspektive zu erleben. Unweigerlich stellt sich die Frage: Ja darf man das? Ja man darf. Es kann uns alle treffen. Und es tut gut, auch diese Haltung einnehmen zu dürfen. Ehrlich, schmutzig, ekelerregend, aber auch wirklich lustig und absurd.

Ein Hoch auf das Pflegepersonal, das – wie im echten Leben – migrantischer Herkunft und unter furchtbaren Bedingungen dennoch herzlich sein kann.

Mein Vater ist auch sehr krank und pflegebedürftig. Humor hilft, mit vielen überfordernden Situationen umzugehen. Traut euch. Das Leben ist ernst genug!

Daniel Wisser
Königin der Berge
Verlag Jund und Jung
400 Seiten
9783990272244

Ich liebe Schwester Aliki.

Erster Satz
Doris Knecht, Gut, ihr habt gewonnen

Doris Knecht, Gut, ihr habt gewonnen

Ich gestehe gleich: Ich bin Knecht-Fan. Immer schon gewesen. Ich liebe ihre Kolumnen und verschlinge ihre Romane. Erwartet euch also kein objektives Urteil. Wobei hier auf meinem Blog ohnehin alles total subjektiv ist 😉

Gut, ihr habt gewonnen ist eine Sammlung von Kolumnen, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben – um genau zu sein 10. Ich habe das Buch nur deshalb gekauft, weil ich auf der Secondhand-Medienplattform Momox etwas anderes gekauft habe, da ging das gleich mit… so wie der Roman Besser ebenfalls von der Knecht.
Der Lange (ihr Mann) ist mittlerweile Geschichte, die Mimis (ihre Zwillingstöchter) sind (fast) erwachsen. Dieses Wissen schmälert den Spaß an den kurzen Geschichten gar nicht. Im Gegenteil: Manches erklärt sich quasi retrospektiv 😉  Und wenn man selbst Elt (Einzahl von „Eltern“, die unbedingt Eingang in den Duden finden sollte) ist,  und die Trotz- und sonstigen Phasen der Fratzen noch gut in Erinnerung hat, kann man gemeinsam zurückblicken und sich denken: ja es war schon zach, und unfair und mühsam. Aber dennoch blickt man wehmütig darauf zurück. Seufz!

Gut, ihr habt gewonnen ist allen zu empfehlen, die Kinder haben, die noch klein sind – die Geschichten sind kurz, man kann sie gut zwischen zwei Wutanfällen lesen. Oder schon groß und gelassen genießen.

Doris Knecht, Gut ihr habt gewonnen
Doris Knecht, Gut ihr habt gewonnen
Czernin Verlag
175 Seiten
978 3 7076 0274 6

Es ist aber auch der Beweis dafür, dass es uns geht. Dass unsere Sorgen klein sind, und wir uns nicht ums Essen Gedanken machen müssen, sondern ums gute Essen. Es macht dankbar und demütig (also  mich zumindest).

Wer mehr Kolumnen von Doris Knecht lesen will muss unbedingt den Falter abonnnieren. (Aber das muss man heutzutage sowieso! ) Und/oder ihr fangt an mit So geht das! Wie man fidel verspießert, meine Knecht-Einstiegsdroge. (Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!)

Erster Satz:

Noch immer existieren Freunde, die unsere Urlaubsfotos nicht gesehen haben.