Manchmal verschenke ich Bücher. Vor allem dann, wenn sie mir nicht sehr ans Herz gewachsen sind, bzw. wenn sie die neuen schon wieder stapeln. Die glücklichen neuen Besitzer:innen bitte ich um eine Rezension. Meistens machen diese das auch.
Du bist dran von Mieze Medusa hatte keine lange Anreise – es landete in Klosterneuburg. Der folgende Kommentar zum Buch stammt nun von der schnelllesenden Exil-Kärntnerin und Kaltwetter-Liebhaberin Bettina Wiedenhofer-Peternell.
Die Autorin war mir unbekannt. Ich freue mich über diese Neuentdeckung. Das Buch war mir eine helle Freude. Darum wurde es in „null komma nix“ gelesen.
Die Beschreibung von mehreren Figuren auf eine derart intensive Weise in Sprache, Lebenshaltung, Erwartungen und Handlungen ist grandios. Immer wieder von neuem bin ich fasziniert von der Fähigkeit von Autor:innen in so unterschiedliche Typen quasi hineinzuschlüpfen.
Danke für dieses Leseerlebnis.
Erster Satz
Das „Poseidon“ ist wie Kurzurlaub in der Vorstadt.
Damals habe ich Hornby geliebt. “High Fidelity”, “About a boy”, “Miss Blackpool”. Alles auf Englisch. „Just like you“ war das erste seiner Bücher, das ich auf Deutsch gelesen habe. Also bis zur Hälfte. Danach konnte ich nicht mehr und habe mir das E-Book in der Originalfassung gekauft. Grund: Die deutsche Übersetzung wurde seinem Schreibstil einfach nicht gerecht. Passagenweise hatte ich sogar die Vermutung, das Buch wäre mittels Schreibprogramm übersetzt worden. Oder wissen Übersetzer:innen heute wirklich nicht, dass das britische Pudding für jede Art von Nachspeise steht und nur in den seltensten Fällen für einen Pudding im klassischen Sinn?
Nun in der englischen Fassung schimmert Hornbys berühmter Wortwitz stellenweise durch. Was mich aber etwas ratlos zurückgelassen hat, sind die farblosen Charaktere.
Der Plot: geschiedene weiße Lehrerin, Anfang 40, verliebt sich in schwarzen Aushilfsfleischverkäufer und Babysitter Anfang 20. Neben dem deutlichem Altersunterschied und der verschiedenen Hautfarben, werden auch die unterschiedlichen Bildungsklassen und vor allem die gegensätzlichen Standpunkte zum Brexit thematisiert.
Allerdings geht keiner dieser Konflikte tiefer. Die Figuren bringen ihre Standpunkte vor, diskutieren Brexit und Trump, bringen Pro und Kontra Argumente für dies oder jenes, aber das ist es auch schon.
Auch die beiden Hauptprotagonisten werden für mich nicht greifbar. Vielleicht ist Hornby als weißer Mann einfach nicht der Richtige, um sich in die Gefühlswelten zweier Figuren zu versetzen, mit denen er sich nicht identifizieren kann. Beide bleiben scherenschnittartig und eindimensional, ihre Gedanken werden vom Autor kaum analysiert.
Lucy, die Lehrerin nimmt Joseph den jüngeren Liebhaber jede Nacht zum Netflixen und Chillen nach Hause. Hat sie nie Angst, dass ihre Kinder aufwachen und sie dabei erwischen? Das hat sich der Lektor wohl auch gefragt, denn irgendwann später erfahren wir dann: Die Kids wussten eh Bescheid, haben aber nie was gesagt. Aha.
Etwas später beherbergt Lucy Joseph und seine neue Freundin in ihrem Ferienhaus. Sie gibt sich cool, souverän und verständnisvoll. Aber was geht wirklich in der Frau vor, wenn der ehemalige Lover mit der Neuen im Nebenzimmer zur Sache geht?
Und was die Brexit-Debatte anhört. Auch da hören sich die beiden einfach brav die jeweils anderen Standpunkte an. Echte Emotionen kommen nicht auf. Nachdem ich englische Freunde und Verwandte habe, kann ich aus Erfahrung sagen, die Realität sah anders aus. Die Brexit-Debatte wurde genauso emotional geführt wie aktuell die Covid-Impf-Debatte und hat Familien und ehemalige Freunde für immer entzweit.
Aber nicht nur die Aversionen, auch die Liebe zwischen Lucy und Joseph waren für mich nicht spürbar. Es gab nichts, was darauf hindeutete, dass sie sich besonders gern hatten, als sie schon eine Beziehung hatten, es war nicht klar, was sie zusammenhielt und auch wie es mit ihnen in Zukunft weiter geht, ist mir ehrlich gesagt egal.
Martina Parker ist Autorin, Journalistin und Texterin. Ihr erster Roman „Zuagroast“ erschien diesen Sommer im Gmeiner Verlag und wurde auf Anhieb ein Bestseller. Der zweite Teil der Gartenkrimisaga heißt „Hamdraht“ und erscheint am 9.3.22
Auf den Facebook und Instagram Seiten martina parker schreibt können Social Media User Martina bei ihren Schreibprozessen begleiten und jeden Montag über Handlungsstränge mitabstimmen.
Franzobel
ist wieder einmal unter die Krimiautoren gegangen und hat sich einen
politischen Phantasie-Reigen erdacht, der einige Monate nach Entstehung des
Buches wohl gar nicht mehr so viel Phantasie benötigt.
Zwei
Erzählsträngen folgt die Geschichte. Da ist einerseits Malte Dinger, Besitzer
einer Bar, in der am liebsten Gin in verschiedensten Variationen verkauft,
Vater eines Schulanfängers, Familienmensch und Ehemann – bis er eines morgens
ein Handy findet und beim Schwarzfahren erwischt wird. Letzteres aus Versehen,
da ihm seine Frau die Monatskarte aus der Geldtasche genommen und nicht wieder
zurückgelegt hatte. Die Strafzahlung konnte er nicht leisten, da fehlten ihm
einige Euros, so wurde er festgenommen und inhaftiert. Nicht ohne Pannen. In
seiner Wut und Verzweiflung hat er dem Polizisten einen Zahn ausgeschlagen, was
sich natürlich nicht mildernd ausgewirkt hatte.
Und
andererseits gibt es Kommissar Groschen, der zu einem sensationell grausamen
Mord in einem verlassenen Gebäude in der Strozzigasse gerufen wird. Schon bald
führt ihn die Spur des Mörders aufs Land zu einer Adelsfamilie, bei der
offensichtlich nicht mehr viel Adel übrig geblieben ist. Der Mord soll ad acta
gelegt werden, der mögliche Täter ist und bleibt flüchtig. Groschen
glaubt nicht daran. Und wird recht behalten. Ein weiterer Mord, ähnlich grausam
beschrieben, im selben Familienumfeld geschieht. Die Suche wird erneut
aufgenommen.
Es kommt zum
großen Showdown – naheliegend in Österreich, beim Opernball. Hier findet sich
der beste Boden um Gesellschaftskritik gedeihen zu lassen. Die zwei
Erzählstränge treffen sich und es kommt zu Aufklärungen und damit, nach mehr
als 400 Seiten doch zu einem etwas abrupten Ende des Buches.
All das
geschieht eingebettet in ein Österreich, das von der rechten Partei LIMES
regiert wird, vom Meister und seinem Gehilfen. Die Welt hat sich damit
geändert. Die Polizei wurde aufgestockt, Flüchtlinge und andere
Nichtwillkommene außer Landes verwiesen, Theaterdirektoren wurden angewiesen
bestimmte Autoren nicht mehr zu spielen, und, und, und. Speziell die
Beschreibung der politischen Veränderung hinterlässt beim Lesen ein banges
Gefühl. Man weiß, dass Franzobel beim Schreiben seines Kriminalromanes vieles,
was das heutige Österreich ausmacht, noch nicht gewusst haben kann. Er hat
phantasievoll Szenarien vorweggenommen, die für die meisten Österreicherinnen
und Österreich zu dem Zeitpunkt nicht denkbar waren. Nun ist der Roman
erschienen, lektoriert, gesetzt, gedruckt, und verkauft und Österreich ist der
absurden Phantasiewelt Franzobels beängstigend nah gekommen.
So hat es
Franzobel auch geschafft in meine Alltagswelt zu gelangen. Bei einer meiner
letzten Fahrscheinkontrollen funktionierte die App nicht und ich spürte eine
leicht Malte Dinger-Panik aufkommen. Für mich ist alles gut ausgegangen.
Österreich ist zu wünschen, dass es allen anderen auch so ergeht.
Franzobel
schafft ein Werk voll Sprachgewalt. Er bedient sich ganz unglaublichen Bildern,
die ich persönlich nie verfilmt sehen möchte und die an die Grenze
verkraftbarer Brutalität gehen. Aber er spielt auch mit den Wörtern, lässt
literarische Kunstformen, etwa die der Alliteration einfließen – “Die Teller,
Türen, Toiletten waren noch dieselben, auch die Betten, Bestecke, Besen wirkten
gewöhnlich.”
“Rechtswalzer” ist ein verstörendes Buch, eines das niveauvoll unterhält. Geeignet nicht nur für Krimileser. Es ist ein Glanzstück österreichischer, sehr österreichischer Literatur.