Der „Coming of Frausein“-Roman schlechthin. (Mindestens) drei Protagonistinnen, die sich auf die eine oder andere Art den Bürden des Frauseins entziehen.
Ein Must-Read für alle Feministinnen sowieso, aber ich würde mir so sehr wünschen, Männer läsen dieses Buch und erführen, wie es ist, Frau, Mutter, Partnerin, weiblicher Teenager in unserer Gesellschaft zu sein und wie privilegiert Männer per Default sind.
Er gehört zu den Männern, die mit ärgerlicher Selbstverständlichkeit attraktiv sind. Garantiert muss er sich kein Gedankn machen, on ein Shirt gut sitzt, ob die Haare ok sind, ob sein Lächeln zu viel Zahn zeigt oder zu wenig. All diesen Raum, den die Fragen über ihr eigens Aussehen in Sarahs Gehirn einnehmen, hat er zur Verfügung.
Mareike Fallwickl entwickelt die Geschichte rund um Helene, Mutter von zwei kleinen Buben, Ehefrau von Johannes, Lola ihrer Teenager-Tochter und ihrer besten Freundin Sarah. Helene steht eines Abends vom Tisch auf, geht zum Balkon und springt. Klar, dass sich jetzt das Fragenkarussell zu drehen beginnt. Nun stellen sich alle jene Fragen, die sie Helene schon längst stellen hätte sollen – bis auf Johannes. Da Sarah aus schlechtem Gewissen ihrer Freundin gegenüber das Familienmanagement übernimmt, bleibt ihm das zunächst erspart. Der „besänftigenden“ Mutter und ihrer Glaubenssätze beraubt, emanzipiert sich Lola gemeinsam mit ihren Freundinnen von den – per default – misogynen Strukturen und schlägt ihren eigenen Weg ein. Johannes macht einfach so weiter wie vorher – äußerlich zumindest.
Die Wut, die bleibt ist zügig zu lesen. Manchmal wird es allerdings zu offensichtlich und lehrbuchhaft. Vor allem Lola sagt manchmal Sätze, die wie auswendig gelernt erscheinen. (Es handelt sich vielleicht wirklich um Zitate aus der Fachliteratur, wie zum Beispiel aus Riot, don´t diet von Elisabeth Lechner.) Andere haben wir Frauen milliardenfach gedacht, gesagt, gefordert, ohne gehört zu werden.
Bei mir bleibt nicht nur Wut, sondern zunehmend auch Ratlosigkeit darüber, wie ein erfolgreicher feministischer Wandel erreicht werden soll, wenn an den Schaltstellen der Macht immer nur Männer sitzen…
Übrigens: Ich schreibe diese Rezension am 23.9.; in 9 Tagen sind Nationalratswahlen…
Zitierfähig
Ich habe schon wieder so viele Stellen im Buch angestrichen…
…zum Beispiele diese:
Muttersein ist wie ein Schiff, sagt Helene. (…)
„Aber wer steuert das Schiff?“, fragt Sarah.
Das kapiert man erst nach einer Weile, erwidert Helene, es sind die Männer. Es sind Politiker und die Gesellschaft. Wir Mütter haben keine Macht. Wir tragen die gesamte Last, aber Macht haben wir keine.
Der Zorn ist eckig mit gezackten Rändern, er schmeckt wie ein Löwenzahnblatt. Sein Saft ist ähnlich braun und färbt alles ein, was er berührt.
Ihr Kinderlosen glaubt uns einfach nicht, sagt Helene, wir erzählen euch wie es ist, und ihr hört nicht zu. Ihr denkt: Liegt sicher nicht am Kind, meins wird anders.
Essen ist Freiheit. Zu kauen und zu schlucken, zu schmecken und sich zu füllen ohne Nachdenken und ohne Reue, aus purer Lust und für den Widerstand. Das gehört zum Wildesten, was eine Frau in dieser Gesellschaft tun kann.“
Erster Satz
Haben wir kein Salz, sagt Johannes beim Abendessen, sagt es genau so: Haben wir kein Salz, und nicht einmal in Helenes Richtung.
Addendum
An dieser Stelle möchte ich euch (wenige Männer, die diesen Blog lesen) auf einen aktuellen Text von Tanja Raich in der Zeit aufmerksam machen:
„Dieses Mal habe ich ihn angeschrien„
Die Blicke, die Hände, die Sprüche: Unsere Autorin würde sich wünschen, nicht davon erzählen zu müssen. Doch es ist wichtig, weil es mit keiner Frau allein zu tun hat.