Nell Leyshon, Ich, Ellyn

Nell Leyshon, Ich, Ellyn

Glücklicher Spontankauf in einer Buchhandlung in Buxtehude (sic!).

Ein ganz ungewöhnliches Buch, das mich durch sein wunderschönes Cover zum Kauf verführt hat (eine feine Strichillustration, der Titel in Sonderfarbe drucklackiert ==> da kann die Werberin in mir unmöglich widerstehen!) und ein echter Glücksgriff!

Ellyn ist ein einfaches Bauernmädchen. 16 Jahrhundert in England. Mit ihrem behinderten Vater, ihrer Mutter, ihrem Bruder und der neugeborenen Schwester Agnes lebt sie in einer Hütte. Arbeit, Gewalt, Dreck, Hunger bestimmen ihr Leben. Eine scheinbar ausweglose Situation.

Ellyns Ausdrucksmöglichkeiten sind stark eingeschränkt. Dennoch spürt sie, dass „da“ noch mehr ist, als das Melken der Kuh, die Versorgung des Vaters, die (sexuellen) Übergriffe des Bruders, die blinde Schicksalsergebenheit der Mutter. Ellyn ist stark, das weiß sie. Und begabt, das wird sie erst entdecken.

Nell Leyshon lässt Ellyn in ihrer einfachen Sprache erzählen. Ohne Groß- und Kleinschreibung, ohne Punkt und Komma: der wilde Gedankenstrom eines Mädchens, das nicht viele Worte hat – und erst recht keine schönen – um zu verbalisieren, was es fühlt.

meine augen schließen sich und ich allein und alles tut weh aber ich hab mein schmutzigweißes an und es kommt immer noch licht durch die ritze und ich schau raus zum himmel der sich verändert und in meinem kopf drinnen hab ich soviel gedanken sie sind wie vögel über feld bei ernte

Um das, was da in ihr ist zu entfalten, muss Ellyn ihre Umgebung verlassen, zu jemandem anderen werden. Die Schmerzen, die sie dafür auf sich nimmt, ist sie gewohnt.

Mit Ellyns Entwicklung, verändert sich auch ihre Sprache. Sie lässt das Vertraute hinter sich, entdeckt neue Welten, neue Klänge, neue Worte. All das gelingt ihr nur, weil sie bereit ist, sich selbst zu verleugnen.

Cover des Buches Ich, Ellyn von Nell Leyshon
Nell Leyshon
Ich, Ellyn
Übersetzt von Wibke Kuhn
Eisele Verlag, 223 Seiten
978-3-96161-129-4

Ich, Ellyn ist eine besonders schmerzhafte Coming of Age Geschichte aus einer Zeit, in der Arme keine Chancen hatten. Und arme Frauen erst recht nicht.

Ohne es zu wissen, hab ich mir einen feministischen Roman gekauft. Spannend, rührend, in einem Stil, den ich so noch nirgendwo anders gelesen habe. Große Empfehlung!

Erste Sätze

fangen wir an
ich weiß´ sist früh denn es ist stille es ist dunkelheit
und dann kommt au dunkelheit schrei

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Bauer und Bobo, Florian Klenk

Ich sags gleich: Ich bin eine bekennende Falter Fanin und daher absolut nicht unvoreingenommen. Dennoch bzw. umso mehr möchte ich dieses Buch weit über den grünen Klee loben: Klenk dokumentiert auf nur 150 Seiten, was schief läuft in der (Land-)Wirtschaft, und was wir gewinnen können, wenn wir trotz – scheinbar unüberbrückbarer – Differenzen miteinander ins Gespräch kommen.

Es ist ein Dokument über ein völlig absurdes Fördersystem, die Machenschaften des Raiffeisen-Konzerns, der Bauern und Bäuerinnen in Abhängigkeit hält, die Perversion des „Lebensmittelmarktes“ und wie wir Verbraucher*innen willig mitspielen und über die Auswirkungen des Klimawandels. Und über das produktive Potenzial eines Dialogs mit Menschen, die anders denken. All das anhand einer einzigen, wahren Geschichte über einen steirischen Bergbauern.

Es ist zudem spannend, lustig, traurig, rührend und hat – achtung Spoiler – ein Happy End!

Ich habe es allen Verwandten zu Weihnachten geschenkt. Weil ich an das Veränderungspotenzial dieses Buches glaube. Es sollte an den Schulen zur Pflichtlektüre gehören. Auch an Pflichtschulen. (Nein, es ist kein intello-Bobo-Belehrungsbuch. Ganz im Gegenteil.)

Lest es, schenkt es weiter, macht Werbung dafür. Wenn wir und unsere (Kindes-)Kinder eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir miteinander reden, Zusammenhänge verstehen, Bereicherungsmechanismen aufdecken und neue Handlungsmuster entwickeln. Asap.

Cover von Bauer und Bobo
Florian Klenk
Bauer und Bobo
Zsolnay Verlag
160 Seiten
978-3-552-07259-6

Erster Satz

Als alles vorbei war, zückte Christian Bachler seine kleine Flasche angesetzten Lärchenschnaps.

Fast Fasten Tag 8

Fast Fasten Tag 8

Heute hab ich leider kein Bild für euch 🙁

Ich war zwar wieder sehr lange spazieren – nein: walken, das klingt dynamischer – aber das Wetter war so schlecht und meine Strecke so öd, dass ich mein Telefon wirklich nur zum Podcast-Hören verwendet habe.

Das Essen hängt mir jetzt schon ein bissl zum Hals raus. Heute Mittag gabs klare Selleriesuppe, die hab ich geskipped. Sellerie und ich geht nicht zusammen. Dafür war die Karotten-Koriander-Suppe ausgezeichnet. Beide Hauptspeisen enthielten Gluten, also enthielt ich mich ihrer. Das Dessert war was für echte Masochist:innen: ungesüßtes Weichselpurée. Hab ich auch auslassen. Dafür hab ich – leider – jetzt beim Abendessen ordentlich reingehaut: Erst eine dicke Kartoffel-Lauch-Suppe, Gemüsestrudel (für mich ohne Strudel), richtig gute Braterdäpfel mit Yoghurtsauce. Komischerweise stand das Weichselpurée wieder zur freien Entnahme…

Mea Culpa

Mir ist ein echt peinlicher Irrtum passiert: Ich war bei der Fußpflege. Damit der Lack trocknen kann, setze ich mich in den sogenannten Teeraum, einen Extrabereich im Speisesaal. Und bestelle mir einen kleinen Espresso – wegen der Leber warats. Und plötzlich umfängt mich eine Wolke billigen Pfirsichduftes. So wie auf den Toiletten von Einkauszentren oder Kinos. Das eklige Zeug, das es von oben runtersprüht, wenn man die Klotüre zumacht. (Findet eigentlich irgendwer den Geruch von Kacke gemischt mit synthi-Pfirsich besser als Kacke pur? Ich nicht.)

Also dieser Duft wabbert um mich rum. Ich – immer schon extrem geruchsempfindlich – wechsle den Platz, weil ich glaube direkt unter dem Aromadiffusor zu sitzen. Hier: Same same. Nächste Ecke: Pfirsichwolke.

Die 4. Ecke ist besetzt, sonst hätte ich die auch noch ausprobiert. Mit diesem „Aroma“ in der Nase, kann ich meinen Espresso nicht mehr genießen. Ich trinke aus und geh mich beim Kellner beschweren. Echt, ich meine, wer braucht Klospray im Restaurant?!

Hier sind lauter sehr freundliche Ungar:innen beschäftigt. Der Kellner versteht mein Problem zunächst nicht. Ich „ziehe“ ihn in den Teeraum, deute auf den vermeintlichen Diffusor. Er versteht, wundert sich zwar, aber entschuldigt sich mehrmals und meint, er wird das weitergeben, dumme Idee von der Dirrektion, kann man im Restaurant ja wirklich nicht, usw.

Im Zimmer angekommen ist der Geruch allerdings immer noch nicht weg. Ich – Klo-geschädigt – denke mir, dass ich wohl genau angesprüht wurde. Hänge meine Gewand auf den Balkon. Sitze in der Unterwäsche da und stinke immer noch. Und dann taucht vor meinem geistigen Auge die Fußpflegerin auf… wie sie zu einer Pfirsich-farbenen Tube greift und mir damit die Füße massiert. ***Extremerrötung***

Ich wollte mich dann natürlich beim Kellner entschuldigen. Aber leider hatte er schon Dienstschluss. Demnach muss ich morgen Asche auf mein Haupt streuen gehen…

#MomToo

Am frühen Abend lauschte ich einem sehr spannenden online-Vortrag von Kaitlyn Chang organisiert von Strategie Austria mit dem neugierig-machenden Titel „#MomToo, Crocodiles and Swans“. Es ging um die Story hinter #MomToo, die Strategie gegen Motherhood Penalty am Arbeitsplatz und den unbewussten Gender-Bias in der Gesellschaft.

Jetzt hab ich doch ein Bild für euch 🙂

Dieses Bild von Kaitlyn Chang und ihrer Tochter bei einem Vortrag auf dem Forward Festival kursierte vor kurzem Europa-weit im Netz. Es wurde bisher von 6 Millionen Menschen angeschaut (Foto © Niklas Schnaubelt)

Das traf insofern gut zusammen, als ich gerade das Buch „Die unsichtbaren Frauen, Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ingoriert“ von Caroline Criado-Perez lese. Ein sehr erhellendes Buch darüber, warum Männer das Maß aller Dinge – im wahrsten Sinne des Wortes – sind, und was das mit uns Frauen auf der ganzen Welt macht.

Fast high

Man sagt ja, dass nach dem Fastentief das Fastenhigh käme. Da ich ja nur fast gefastet habe, ist mein High nicht ganz so hoch. Aber ich fühle mich vor allem körperlich richtig stark. Und das meine ich wortwörtlich. Auch die Schmerzen im unteren Rücken sind weg. Ich hoffe, ich kann mir diesen Zustand möglichst lange erhalten – auch wenn jetzt viele Geburtstage (auch meiner) sowie pauschalere Feste anfallen.

Ich habe heute übrigens 14.150 Schritte gemacht, 25 Minuten Gymnastik, 25 Minuten Core-Training und 25 Minuten Stretching. Dieses Niveau werde ich nicht halten können! Dazu reicht nicht mal meine senile Bettflucht, die mich mittlerweile vor 6 aufwachen lässt! Achja: Ich habe 2032 Kalorien verbraucht.

Morgen ist nochmal Fullservice angesagt mit lauter Abschlussgesprächen und einer „intensiven Schröpfmassage“!

PS: Für daheim hab ich mir schon die super Suppe von Paul Ivic gewünscht. Die müsst ihr unbedingt probieren!

Fast Fasten Tag 4

Fast Fasten Tag 4

Der Morgen war schwierig. Sonntag, Tag des Herren, also 0 Programm. Daher hatte ich mir einen schönen Plan zurechtgelegt. Leider schien das Wetter diesen zunichte zu machen: Schüttregen! Die Muskelschmerzen regten mich nicht dazu an, meine Bewegungseinheit im Fitnesscenter zu absolvieren. Also zunächst Essen. Heute Buchweizenbrei, deutlich besser als erwartet! Dann aufs Wetter gepfiffen und doch eine Stunde spazieren, mit Regenschirm & Hörspiel – übrigens sehr spannend: „Der Fremde am Strand“ von Lisa Jewell.

Unkonzentriert, weil mit meiner Freundin Ines telefonierend, hab ich mich mehrfach verlaufen und bin zu spät zu meinem Malworkshop zurück gewesen. War aber egal, weil mein Stream eh nicht funktioniert hat. Das Internet ist hier grottig! Dann bin ich an den Proportionen eines Häuschens gescheitert – grrrroßer Frust. Aber dann war eh schon wieder Essenszeit! Klare Karottensuppe, leider geschmacklich sehr zurückhaltend. Dafür die anschließende Linsensuppe umso besser. Mehr war´s zu Mittag nicht. Halt! Simmt nicht: Ein Birnenmus hab ich mir zur Nachspeise gegönnt. Dafür hab ich am Abend nur klare Suppe und Ratatouille ohne Polentataler zu mir genommen.

Übrigens: Meine neue Nachbarin links von mir redet auch nix. Schön langsam könnte ich zu glauben beginnen, es liegt an mir…

Vor der obligaten Sauna habe ich noch meinen weihnachtlichen Essigbaum fertiggemalt. So ungefähr hat er wirklich ausgesehen!

Ausgelesen

Eines der Bücher, das ich mitgenommen und bereits fertiggelesen habe, ist von Amanda Cross, „Die letzte Analyse“. Keine Ahnung, wie ich dazu kam. Wahrscheinlich meiner positiven Diskriminierung weiblicher Autoren zu verdanken. Das Buch ist aus 1964! Ein wunderbar altmodischer Krimi, der ganz ohne DNA-Analysen, Internetrecherchen, Handys usw. auskommt. Die Literatur ist es, die die Literaturprofessorin Kate Fansler auf die Spur des Mörders ihres besten Freundes, eines Psychoanalytikers, bringt. Leichter, unbrutaler Stoff mit ein bisschen Spannung und skurrilen Gedanken:

„Es fehlt mir nicht an Ideen, sagte Kate, nur an der Fähigkeit, ihnen einen Sinn zu geben. Ich fange an zu glauben, dass Alice gar nicht im Wunderland war. Sie hat vielmehr versucht, einen Mordfall zu lösen. Dauernd verschwinden schöne verdächtige und lassen nur ihr Grinsen zurück. Andere verwandeln sich in Schweine. Wir bekommen einen großen unschönen Vogel vorgesetzt und sollen Croquet spielen. Und obwohl wir so schnell rennen, bewegen wir uns nicht vorwärts, sondern rückwärts.“

Eine ideale Lektüre, unterhaltsam aber wenig anspruchsvoll ohne banal zu sein. Kann ich empfehlen.

Amanda Cross ist übrigens ein Pseudonym für die feministische Literaturwissenschafterin Carolyn Gold Heilbrun, die an der Columbia University unterrichtete und neben zahlreichen wissenschaftlichen Schriften Kate Fansler 14x auf Ermittlunstour schickte, kuckst du!

Amanda Cross
Die letzte Analyse
übersetzt von Monika Blaich und Klaus Kamberger
336 Seiten
Dörlemann Verlag
978-3038200888

Erster Satz:

„Ich habe nicht gesagt, ich hätte etwas gegen Freud.“

Martina Parker, Zuagroast

Martina Parker, Zuagroast

Compliance-Hinweis: Ich habe noch nie ein Buch von jemandem rezensiert, den ich kenne, geschweige denn, von jemandem, die hier schon einen Blogbeitrag geschrieben hat! Ich bin sozusagen voreingenommen.

Bei Martina Parkers Zuagroast handelt es sich um einen „Gartenkrimi“. Mein Verhältnis zu Krimis ist ein zwiespältiges: Einerseits mag ich spannungsgeladene Geschichten, die mich in ihren Bann ziehen. Die mich der nächsten Lesegelegenheit entgegenfiebern lassen, die mir den Schlaf rauben. Andererseits kann ich mit den 1000 Varianten des Frauneentführensunddannimmernochbestialischerabschlachten nichts anfangen. Allerdings wird der 5. Provence- bzw. Normandie-Krimi auch irgendwann schal. Und mit bayrischen Brachialhumor à la Lederhosenkrimi hab ichs – ehrlich gesagt – auch nicht so. Insofern hat mich der Titel „Zuagroast“ eher abgeschreckt (Burgenländisch ist ja noch schlimmer als Bayrisch!). Aber dann habe ich Martina kennengelernt und war bei einer ihrer Lesungen. Zudem hat sie eine Rezension für diesen Blog geschrieben! Und außerdem ist das Buch auch noch wahnsinnig erfolgreich… Also her damit!

Ich werde die Geschichte hier nicht nacherzählen. Im allerweitesten Sinn geht es um weibliches Empowerment und (Selbst-)Wirksamkeit durch angewandte Pflanzenkunde. Das alles in einem (burgenländischen) Dorf, wo jedeR alles weiß bzw. zu wissen glaubt und damit ebenso häufig falsch wie richtig liegt. Politische Korruption spielt auch eine Rolle, aber das kennen wir aus dem realen Leben ja nur zu gut.

Was ich nicht so mag

Der Wikipedische Anteil ist mir zu ausgeprägt – das lasse ich für die Pflanzenkunde durchgehen, weil Gartenkrimi, aber wer der Hauptvertreter des Bauhaus-Stils war, weiß ich entweder oder es interessiert mich nicht. Auch Details zum Phänomen der Sarggeburt, die verschiedenen Fäulnisvorgänge inkl. platzender Hautblasen sind einfach too much information!

Und dann mag ich das Frauenbild nicht, das vermittelt wird. Die meisten Frauen werden entweder geschlagen, betrogen, verlassen, und/oder für komplett deppert gehalten. Ich glaub jetzt nicht, dass das am Land so viel ausgeprägter ist als in der Stadt, daher ist mir das Verhältnis zwischen Armutschkerln und coolen Frauen zu dürftig.

Was ich mag

Endlich mal ein Krimi aus der Perspektive einer Frau! D.h. Frauen werden „nur geschlagen, betrogen… s.o.“ aber nicht entführtundbestialischabgeschlachtet.

Ein spannender Plot, wunderbar flapsig geschrieben. Sehr viel Pflanzenwissen. Ein überraschendes Ende. Sehr viele lustige Einfälle – großartig die Szene am Ballonfest!

Fazit

Ich habs in Einem durchgelesen! Ich hab oft schmunzeln müssen und manchmal sogar laut gelacht! Und ja, ich hätte es gerne selbst geschrieben! Insofern: auf jeden Fall lesenswert. Und ein sehr schönes Cover hat es auch noch!

Martina Parker
Zuagroast
510 Seiten
Gmeiner Verlag
978-3-8392-0095-7

Erster Satz

Es war eine dieser pannonischen Sommernächte, in denen es einfach nicht abkühlte.

PS: Ich empfehle, zu einer von Martina Parkers Lesungen zu gehen. Die Geschichten, die sie rund um die Entstehung des Buches erzählt, sind mindestens so lustig wie das Buch selbst!

Nick Hornby, Just like you

Nick Hornby, Just like you

Eine Gastrezension von Martina Parker

Damals habe ich Hornby geliebt. “High Fidelity”, “About a boy”, “Miss Blackpool”. Alles auf Englisch. „Just like you“ war das erste seiner Bücher, das ich auf Deutsch gelesen habe. Also bis zur Hälfte. Danach konnte ich nicht mehr und habe mir das E-Book in der Originalfassung gekauft. Grund: Die deutsche Übersetzung wurde seinem Schreibstil einfach nicht gerecht. Passagenweise hatte ich sogar die Vermutung, das Buch wäre mittels Schreibprogramm übersetzt worden. Oder wissen Übersetzer:innen heute wirklich nicht, dass das britische Pudding für jede Art von Nachspeise steht und nur in den seltensten Fällen für einen Pudding im klassischen Sinn?

Nun in der englischen Fassung schimmert Hornbys berühmter Wortwitz stellenweise durch.  Was mich aber etwas ratlos zurückgelassen hat, sind die farblosen Charaktere.

Der Plot: geschiedene weiße Lehrerin, Anfang 40, verliebt sich in schwarzen Aushilfsfleischverkäufer und Babysitter Anfang 20. Neben dem deutlichem Altersunterschied und der verschiedenen Hautfarben, werden auch die unterschiedlichen Bildungsklassen und vor allem die gegensätzlichen Standpunkte zum Brexit thematisiert.

Allerdings geht keiner dieser Konflikte tiefer. Die Figuren bringen ihre Standpunkte vor, diskutieren Brexit und Trump, bringen Pro und Kontra Argumente für dies oder jenes,  aber das ist es auch schon.

Auch die beiden Hauptprotagonisten werden für mich nicht greifbar. Vielleicht ist Hornby als weißer Mann einfach nicht der Richtige, um sich in die Gefühlswelten zweier Figuren zu versetzen, mit denen er sich nicht identifizieren kann. Beide bleiben scherenschnittartig und eindimensional, ihre Gedanken werden vom Autor kaum analysiert.

Lucy, die Lehrerin nimmt Joseph den jüngeren Liebhaber jede Nacht zum Netflixen und Chillen nach Hause. Hat sie nie Angst, dass ihre Kinder aufwachen und sie dabei erwischen? Das hat sich der Lektor wohl auch gefragt, denn irgendwann später erfahren wir dann: Die Kids wussten eh Bescheid, haben aber nie was gesagt. Aha.

Etwas später beherbergt Lucy Joseph und seine neue Freundin in ihrem Ferienhaus. Sie gibt sich cool, souverän und verständnisvoll. Aber was geht wirklich in der Frau vor, wenn der ehemalige Lover mit der Neuen im Nebenzimmer zur Sache geht?

Und was die Brexit-Debatte anhört. Auch da hören sich die beiden einfach brav die jeweils anderen Standpunkte an. Echte Emotionen kommen nicht auf. Nachdem ich englische Freunde und Verwandte habe, kann ich aus Erfahrung sagen, die Realität sah anders aus. Die Brexit-Debatte wurde genauso emotional geführt wie aktuell die Covid-Impf-Debatte und hat Familien und ehemalige Freunde für immer entzweit.

Aber nicht nur die Aversionen, auch die Liebe zwischen Lucy und Joseph waren für mich nicht spürbar. Es gab nichts, was darauf hindeutete, dass sie sich besonders gern hatten, als sie schon eine Beziehung hatten, es war nicht klar, was sie zusammenhielt und auch wie es mit ihnen in Zukunft weiter geht, ist mir ehrlich gesagt egal.

Nick Hornby
Just like you
übersetzt von Stephan Kleiner
Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten
978-3-462-00039-9

Martina Parker ist Autorin, Journalistin und Texterin. Ihr erster Roman „Zuagroast erschien diesen Sommer im Gmeiner Verlag und wurde auf Anhieb ein Bestseller. Der zweite Teil der Gartenkrimisaga heißt „Hamdraht“ und erscheint am 9.3.22

Auf den Facebook und Instagram Seiten martina parker schreibt können Social Media User Martina bei ihren Schreibprozessen begleiten und jeden Montag über Handlungsstränge mitabstimmen. 

Infos: www.martinaparker.com

Henriette Roosenburg, Morgen wartet eine neue Welt

Henriette Roosenburg, Morgen wartet eine neue Welt

Eine wahre Geschichte über eine außergewöhnliche „Heimreise“.

1957 war dieses Buch in den USA ein Bestseller. Erst jetzt wurde es wiederentdeckt und ins Deutsche übersetzt.

Die Autorin, Henriette Roosenburg, war nach dem Krieg Journalistin. So liest sich auch das Buch, in dem sie ihre Befreiung aus dem Nazi-Gefägnis in Waldheim, Sachsen, und ihre „Flucht“ nach Hause, zurück nach Holland schildert.

Gemeinsam mit ihren Freund*innen Joke, Nell und Dries macht sie sich im Frühling 1945 auf den Weg in ihre Heimat Holland. Es fällt schwer Freund und Feind zu unterscheiden. Soeben aus dem Gefängnis befreit, wo sie als zum Tode verurteilte, sogenante Nacht-und-Nebel-Häftlinge, gerade noch überlebt haben, fällt es schwer, mit der neuen Freiheit umzugehen und Vertrauen zu fassen. Ist „der Russe“ nun Befreier oder potenzieller Vergewaltiger? Hat man als Opfer das Recht von Deutschen zu stehlen? Gibt es auch gute Deutsche und wenn ja, wie konnte sie „all das“ zulassen? Darf man Täter mögen?

Ein Leben auf der Flucht ist in allem prekär: zuwenig Essen, kein sauberes Wasser, nie wissen, was um die nächste Ecke bzw. Flussbiegung lauert, ständige Anspannung. Sicherheit als höchstes Gut. Und Freundschaft & Loyalität. Und wie überlebenswichtig Optimismus ist.

Roosenburgs Roman ist mehr eine Reportage. Mit viel Emotion aber nie weinerlich schildert sie die unerträglichen Umstände, die in den Gefängnissen herrschten. Ihre inneren Kämpfe, nicht so zu werden wie ihre Peiniger, obwohl Vergeltung nun endlich möglich wäre.

Ein wahre Geschichte aus einer vergangenen Zeit. Doch Flucht wird sich auch heute nicht anders anfühlen. Insofern hat die Neuentdeckung des Romans eine höchstaktuelle Komponente.

Henriette Roosenburg
Morgen wartet eine neue Welt
übersetzt von Hans-Christian Oeser
322 Seiten
aufbau Verlag
978-3-351-03836-6

Erster Satz

Der 5. Mai 1945 war ein Tag der Vorahnung.

Elizabeth Strout, Die langen Abende

Elizabeth Strout, Die langen Abende

Für manche Bücher ist man zu alt, für andere ist man zu jung. Für den Roman der amerikanischen Pulitzer-Preis-Gewinnerin Elizabeth Strout bin ich jedenfalls (noch?) nicht die richtige Zielgruppe. Wobei: Wer will schon zu irgendeinem Zeitpunkt so genau wissen, wie es sich anfühlt zu altern? Ich meine: So richtig zu altern! Mit Inkontinenz und Demenz und weiteren entwürdigenden Zuständen.

Aber wenn man darüber lesen will, dann ist Strouts Heldin Olive Kitteridge die richtige. Schon immer widerborstig und vorlaut, bewältigt sie auch die Herausforderungen des Älterwerdens mit distanzierter Selbstironie. Die Einsamkeit, unter der sie zuweilen leidet, macht sie nicht angepasster. Da sie oft einfach sagt was sie denkt, kommt sie mit ihren Mitmenschen nicht gut aus. Dabei verbirgt sie hinter ihrer Ruppigkeit ein mitfühlendes Herz und ehrliches Interesse.

Strout, Jahrgang 1956, beschreibt die Fogen und Begleitumstände des Alterns schonungslos: die Kinder, die sich – auch weltanschaulich – entfernen, die Freund*innen und Ehemänner, die wegsterben, der Verlust der Attraktivität – und damit einhergehend die Erkenntnis, dass sich niemand mehr in einen verlieben wird. Es sind ein paar große und tausend kleine Abschiede, die Olive hinnehmen muss. Mal gelingt ihr das besser, mal schlechter.

Dennoch ist Die langen Abende kein deprimierendes Buch. Olives genaue Beobachtungsgabe, ihre unzensurierten Schlussfolgerungen und ihre Schnoddrigkeit machen das Buch eher lustig zu lesen. Vor allem dann, wenn man es schafft, zu verdrängen, dass wir alle (hoffentlich?) einmal so alt werden…


Elizabeth Strout
Die langen Abende
übersetzt von Sabine Roth
352 Seiten
btb Taschenbuch
978-3-442-77049-6

Erster Satz

An einem Samstag im Juni, kurz nach Mittag, setzte Jack Kennison die Sonnenbrille auf, ließ das Verdeck seines Sportwagens herunter, spannte den Gurt über seinen nicht eben kleinen Bauch und fuhr von Crosby, Main, hinüber ins fast eine Stunde entfernte Portland, um sich seinen Whiskey dort zu kaufen, weil ihm nicht danach war, im hiesigen Lebensmittelladen Olive Kitteridge in die Arme zu laufen.

Clara Maria Bagus, Die Farbe des Glücks

Clara Maria Bagus, Die Farbe des Glücks

Da ich zurzeit eine Ausbildung in Positiver Psychologie mache, ist mich der Titel gleich angesprungen. Ein schönes Cover und die prominenten Fürsprecherinnen wie Markus Lanz („Die großen Themen des Lebens – verdichtet zu einem sprachlich überwältigenden Werk.“), Nele Neuhaus („Clara Maria Bagus beherrscht die Kunst des heilenden Erzählens.“) oder der Werber Jean Remy von Matt („Ein wunderbarer Roman […] großartig komponiert, voller Weisheit, Emotionalität und Zuversicht.“) machten es praktisch unmöglich, das Buch nicht zu kaufen.

Ja, mhm. Ich bin ein bisschen überwältigt von der Geschichte. Würde ich nicht ausschließlich im Liegen lesen, sie hätte mich umgehauen. Sie ist quasi der Weisheit letzter Schluss. Die Bibel der Menschlichkeit, der Kanon der Moral. Wer Fragen zum Leben hat: Hier sind die Antworten. Alle. Und dann ist sie auch noch schön geschrieben, vielleicht doch ein bisschen konstruiert, um alle Botschaften unterzubringen, aber flüssig zu lesen.

Die letzten 20 Seiten habe ich nicht mehr geschafft. Nachdem ich erst vor ein paar Monaten meinen Vater verloren habe, war mir der Abschnitt über „wie aus dem Tod Neues enststehen kann“ too much.

Die Farbe von Glück muss man als Ratgeber lesen. Häppchenweise zu sich nehmen. Verdauen, Nährstoffe speichern. Ruhen. Nächstes Häppchen.

Vielleicht hätte ich auf diese Weise Die Farbe von Glück mehr genießen können.

Buchtitel die Farbe des Glücks
Clara Maria Bagus
Die Farbe von Glück
352 Seiten
Piper Verlag
978349205995

Erste Sätze

Menschen unterscheiden sich in ihren Träumen. In ihren Hoffnungen sind sie alle gleich.

PS: Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass man Bücher nicht bei Amazon kaufen darf.

Must-Hear: Cornelius Obonya liest die Emmerich-Krimis von Alex Beer

Must-Hear: Cornelius Obonya liest die Emmerich-Krimis von Alex Beer

Ich bin ja ein großer Hörbuch-Fan. Mittelmäßige Geschichten können — vom richtigen Menschen gelesen — zu großem Hörgenuss werden. Umgekehrt kann einem eine furchtbare Stimme jedes noch so große Werk vergällen.

Bei der August-Emmerich-Krimiserie stimmt jedoch alles: Burg-Schauspieler Cornelius Obonya lässt ein Panakustikum entstehen, dass man glaubt mindestens 10 verschiedene Schauspieler*innen (sic!) hätten die Geschichte eingesprochen! Seine Bandbreite ist phänomenal, er hat die ganze Dialektvielfalt der untergegangenen Monarchie drauf! Sogar Frauenrollen wirken bei ihm nicht aufgesetzt. Er lässt glaubwürdige Charaktere entstehen und hält sie bis zu ihrem Lebensende kongruent durch — wenn es die Schöpferin zulässt, bis zum dritten Band!

A propos authentisch: Die Autorin Alex Beer erschafft eine ganz dichte, lebensechte Atmosphäre. Zusammen mit Obonyas „Übersetzung“ befindet man sich mittendrin im vom ersten Weltkrieg verheerten Wien. Man hungert mit den vielen Hoffnungslosen, leidet mit den Kranken, friert mit den Zerlumpten.

Wunderbar facettenreich sind die Protagonist*innen. Schwarz und weiß sind nie klar von einander zu unterscheiden. Und Gesetz bedeutet nicht nicht immer Gerechtigkeit, Emmerich allerdings weiß wofür er eintritt.

Der Kommissar mit dem Granatsplitter im Bein ist auch eine sehr ambivalente Person. Beinahe immer grantig aber herzensgut, mitfühlend, ist er doch selbst ein gepeinigter.

Ein toller Charakter ist auch sein Assistent Winter. Das enteignete, schmächtige Aristokratensöhnchen, das nur langsam mit seinen Aufgaben wächst und dennoch für seine Prinzipien einsteht (und einsteckt ;-).

Wenn dann der Pülcher bei der Endstation vom 49er am Gasthaus Prilisauer vorbei, durch den Ferdinand-Wolf-Park, über die Bräuhausbrücke den Wienfluss überquert, um anschließend im Lainzer Tiergarten zu verschwinden, bin ich als Penzingerin mittendrin in der Geschichte vom Zweiten Reiter! Grandios!

Bisher sind drei August-Emmerich-Krimis erschienen.

Bitte unbedingt noch mehr vom Duo Beer+Obonya!