Gelassen oder „Geh, lass´n!“?

Gelassen oder „Geh, lass´n!“?

In der Sprache der Mystiker bedeutet das Wort „gelassen“ gottergeben. So gesehen ist es kein Wunder, dass ich als Agnostikerin über diese Qualität nicht in dem Maße verfüge, dass für das Golfspiel noch ausreichend übrig wäre.

A propos Spiel: Neulich wollten mein Mann und ich eine Partie Scrabble spielen. Dreißig Minuten vorher begann ich mit Finger- und Handgelenksgymnastik. Darauf folgten 10 Minuten Gehirnjogging. Anschließend nahm ich den Duden zur Hand und prägte mir nochmal alle Wörter mit J, Y, und Q ein, die nicht mehr als 7 Buchstaben haben. Mit „J“ gibt es 141 Wörter, die das Regelwerk des ÖSV, (Österreichischer Scrabbelverein) zulässt. Kleiner Insidertipp: Jux, Jak (oder Yak) Jazz oder Jockey bringen einen tollen Score! Wenn sie eher intellektuell punkten wollen empfehle ich Ihnen „juvenil“ oder Juxta (= Kontrollstreifen an Lotterielosen) oder – Ass-quasi: Myxödem! Ich richtete meinen elektronischen Punktezähler her und freute mich schon, den nagelneuen „Buchstaben-im-Säckchen-Ertaster-Handschuh“ erstmals einzusetzen. Das Device ist zwar umstritten und bei internationalen Competitions verboten, aber im privaten Rahmen – warum nicht?! Ich war auch schon sehr gespannt, ob sich die zwei Trainingseinheiten, die ich mir letzte Woche mit meiner Proette  (meiner ehemaligen Deutschlehrerin) geleistet hatte, positiv auswirken würden. Kurz vor dem ersten Griff ins Säckchen schloss ich meine Augen, atmete drei Mal tief durch und visualisierte das Wort „Hydroxyd“ sowie das Feld „dreifacher Wortwert“. Doch ich merkte sogleich: Die Sterne stehen schlecht! Ich zog wohl ein H und ein Y, aber der Rest waren Bs und Ns, A. Mein erstes Wort kam nicht über 15 Punkte. Bereits nach dem vierten Wort war klar, das Spiel war zum Scheitern verurteilt. Wut stieg in mir auf und, als ich – trotz meines Handschuhs (€ 139,- bei Amazon) mein zweites „V“ und ein zweites „C“ (ohne „H“) zog, fegte ich das Brett vom Tisch! Die Buchstaben explodierten in den Raum, das Säckchen schoss ich nach, mein Kopf war purpurn und kaum mehr vom Weihnachtsstern zu unterscheiden. Verdammtes, elendes Drecksspiel!!!! Nie wieder!!!!

Nein. Das ist mir so noch nie passiert. Ich bin kein „Häferl“ wie man bei uns in Wien sagt, ich „geh nicht gleich in Saft“. Ich bin eine gute Verliererin: bei Mensch-Ärgere-dich-nicht, beim Tarockieren, beim Tischtennis (außer gegen meinen Sohn…). Ich lass mich – nur in wirklich ungerechten Situationen – eventuell zu akustisch auffallenden Emotionsäußerungen hinreißen. Aber mehr als „Geh bitte“, „des gibt´s ja net“ oder „so ein Schas“ entfleucht mir nie.  Nur beim Golf. Da ist es anders. Also nicht akustisch, aber innerlich. Da steigt schon vor jedem Schlag mein Puls (Pulsmesser-objektiviert), ganz ohne bergauf und Turnier. Schlechte Schläge (Was sind schon schlechte Schläge?) fächeln einen aktiven Vulkan an, der irgendwo in der Magengegend vor sich hin brodelt. Manchmal braucht es mehr Zunder, manchmal weniger. Doch wenn das seismische Ereignis erst einmal in Gang gesetzt ist, gibt es kaum mehr ein Zurück. Es hilft dann bloß noch die gute Erziehung, die in Anwesenheit fremder MitspielerInnen äußerliche Contenance gebietet. Der Tag ist versaut. Nur noch ein Birdie auf der 8 kann ihn noch retten. Aber leider! Mit HCP – 26 ist die Statistik diesbezüglich dein Feind.

Sie sehen, Gelassenheit ist meine Stärke nicht. Ich übe: Ich meditiere (30 Tages-Paket: „Work toward a more balanced mind, recognize calmness and become less reactive, even in tough situations.“), ich lese („Wie Sie Ihre Hirnwichserei abstellen und stattdessen das Leben genießen“). Ich versuche mich über die gelungenen Schläge zu freuen und alle anderen (geistig) unkommentiert zu lassen („Was bist denn so schweigsam heute?“). Das Wetter ist schön, die frische Luft tut mir gut, die Bewegung ist gesund, die Leute sind nett … Ich werde besser. Hoffentlich bald, kruzefixteifleininochamal! Und jetzt geh ich zum Scrabbel-Training!

Literatur/Links

Wie Sie Ihre Hirnwichserei abstellen und stattdessen das Leben genießen, Giulio Cesare Giacobbe, Verlag Goldmann

www.Headspace.com, Headspace is meditation made simple. Learn online, when you want, wherever you are, in just 10 minutes a day.


Dieser Text erschien in der Golfrevue II/2016.

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