Auf Empfehlung meiner Lieblingsbuchhändlerin.
Was gut ist am Folgen fremder Empfehlung ist, dass man zu Büchern kommt, die man sonst nie gelesen hätte. Aber natürlich birgt es auch ein ziemliches Risiko! Max Gross´ „Das vergessene Schtetl“ war zumindest so gut, dass ich es zu Ende gelesen habe und jetzt ganz viele jüdische Ausdrücke kenne. Die (im positiven Sinn) sehr eigenartige Geschichte fand ich zunächst recht amüsant. Zum Schluss hin war sie aber schon ein bissl anstrengend.
Der einzigartige Plot
Da wird ein jüdisches Dorf, Kreskol, im polnischen Urwald einfach übersehen. Von allen: Von den Nazis, dann den Kommunisten, den Gojims (Nicht-Juden) – kein Strom, keine Autos, kein Internet. Optionslose Orthodoxie. Eines Tages eskaliert ein Ehestreit und Pescha Lindauer verschwindet. Man schickt den, auf den man leicht verzichten kann: den Außenseiter Jankel Lewinkopf. Jankel erzählt draußen von seinem Schtettl, doch niemand glaubt ihm zunächst. Als Kreskol dann doch entdeckt wird, und die Schutzhülle der Unsichtbarkeit zerbricht, sickert die moderne Welt ein. Kreskol verwandelt sich in ein jüdischen Disneyland. Touristen bestaunen die letzten „echten Juden“. Der Kapitalismus hält Einzug, mit ihm Neid und Missgunst. Die kleine Gemeinschaft spaltet sich… Jankel Lewinkopf irrt in der „echten“ Welt umher und begibt sich auf die Suche seines Lebens.
Jüdischer Witz
Was mich an dem Buch fasziniert hat, war die Begegnung mit dem Judentum, den Begriffen, der Folklore, die sich in geschützten Biotopen entwickelt. Und natürlich, was passiert, wenn dieser Schutz durchbrochen wird.
Manchmal wird es allerdings too much. Da muss man man drüberlesen. Aber als eine Art Fantasy-Schelmen-Roman funktioniert „Das vergessene Schtettl“ ganz gut. Ich mag besonders die Selbstironie – sofern ich sie nicht als solche hineininterpretiere…
Von der Kritik wurde auch mehrfach Gross´ Idee, der Holocaust wäre komplett unglaubwürdig in seiner Monströsität, besonders hervorgehoben. Ich fand das eher irritierend.
Die Frauen kommen alle schlecht weg. Das finde ich schade.

Das vergessene Schtetl
Hardcover, 400 Seiten
Katapult Verlag
ISBN 9 783948 923884
Erster Satz
Auch in einer unbeschwerten, friedlichen Stadt wie der unseren ist es möglich, jemanden zu finden, dem man nie wieder begegnen will.